Grenchen: Alain (11) seit bald 2 Jahren ohne Schulunterricht
Obwohl jedes Kind in der Schweiz per Verfassung Anrecht auf Beschulung hat, lässt der Kanton Solothurn einen bald elfjährigen Grenchner hängen. Herumhängen nämlich. Nennen wir ihn "Alain" (richtiger Name ist bekannt). Alain sitzt seit bald zwei Jahren nur noch in der Wohnung herum und wird seit Oktober 21 von einer Heilpädagogin des Volksschulamtes dreimal zwei Stunden pro Woche in der Wohnung beschult. Von richtigem Schulunterricht keine Spur. Gespräche mit Behörden und runde Tische haben nichts gebracht. Jetzt prüfen sein Vater und dessen Arbeitgeber eine Klage gegen die Stadt Grenchen und den Kanton Solothurn. Dies steht in einem "offenen Brief an die Stadt Grenchen und den Kanton Solothurn", der am Gründonnerstag in der Presse publiziert wurde.
Ernst Müller, dipl. Ing., Grenchen
Offener Brief (zum Vergrössern anklicken)
Derzeit kommen tausende Kinder aus der Ukraine in die Schweiz. Sie werden unverzüglich eingeschult, ganz egal wie traumatisiert sie sind und wie wenige Sprachkenntnisse sie mitbringen. Beim Grenchner Alain ist es anders. Er ist seit Sommer 2020 aus der Schule ausgeschlossen. Im Volksschulgesetz des Kantons Solothurn heisst es: Jedes Kind hat im Rahmen des Gesetzes Anrecht auf einen seinen Fähigkeiten entsprechenden Unterricht. Warum gilt das Gesetz für Alain nicht? Fähigkeiten hat er, dumm ist Alain nicht.
Überforderte Heilpädagogen kontraproduktiv
Die Trennung der Eltern im Jahr 2018 hat dem Knaben offensichtlich arg zugesetzt. Die Verhaltensstörungen machten sich aber nicht sofort bemerkbar, sondern erst später, schleichend, was keine Seltenheit ist. Seit der Trennung der Eltern wohnt Alain beim Vater. Dieser arbeitet tagsüber. Es fehlt Alain an Aufmerksamkeit. Alain beginnt in der Schule auf unübliche Art und Weise auf sich aufmerksam zu machen. Er sei "auffällig, aggressiv und zeige Gewaltausbrüche", hiess es. Das störe den Unterricht gewaltig. Neben Lehrpersonen kümmern sich fortan immer mehr völlig überforderte Heilpädagoginnen und Heilpädagogen um den Jungen. Das Resultat: Ständig wechselnde Bezugspersonen die alle auf ihn einreden führen dazu, dass sich Alain komplett verschliesst.
Symbolbild von Ben Collins auf Unsplash.com (Es handelt sich auf diesem Bild nicht um den betroffenen Schüler).
Von der Schule geflogen
Was soll man mit Alain tun? In eine Sonderschule stecken? Geht nicht. Die meisten Sonderschulen von früher wurden im Kanton Solothurn abgeschafft, dafür wurden die Regelklassen mit Heilpädagoginnen und Heilpädagogen geflutet. In eine andere Gemeinde zur Schule schicken? Schwierig. Andere Gemeinden haben selber genug Problemfälle in den Klassen. Alain wurde schliesslich im Sommer 2020 von der Schule verwiesen.
Alain wünscht sich Normalität, Strukturen und Freunde
Jetzt schaltete sich die KESB ein. Der Beistand der KESB verstrickte sich in Ausflüchte und drückte sich vor dem Fall. Auch der Oberschuldirektor des Kantons Solothurn wollte zur Lösung beitragen und kam mit der Idee eines Internats im Berner Oberland, weit weg von Grenchen und vom Vater.
Fakt ist: Alain wird nach bald zwei Jahren immer noch nicht richtig beschult. Und dies in einem derart wichtigen Schulalter. Wenn man mit ihm spricht merkt man, dass er sich eigentlich nach Normalität, Strukturen und Freunden sehnt, doch er sitzt nur zuhause rum und vergeudet wertvolle Lebenszeit. Der Oberschuldirektor des Kantons Solothurn steht kurz vor der Pensionierung. Der „Fall Alain" wird vor sich her geschoben.
15 Kilometer Schulweg soll die Lösung bringen
Im Januar 2022 wurde immerhin beschlossen, dass Alain vielleicht für ein Jahr nach Küttigkofen zur Schule gehen könne, frühestens ab Herbst 2022. Das sind gut 15 Kilometer pro Schulweg. Für Alain, aber auch seinen Vater, der 100 Prozent arbeitet und einen Haushalt alleine führt, eine ziemliche Belastung. Darauf entgegnete der Oberschuldirektor des Kantons Solothurn, das sei kein Problem, Alain könne ja ein Taxi nehmen. Das werde vom Kanton bezahlt.
Alain bräuchte dringend eine zweite Chance, eine Bewährungsprobe, sachgerechte Förderung - und zwar schnell. Es nützt Alain nichts, dass sich mittlerweile die KESB, Gerichte und Anwälte mit dem Fall befassen. Irgendwann landet Alain so unweigerlich auf der Strasse und es besteht die Gefahr, dass er auf eine Laufbahn gerät, die kaum mehr zu kontrollieren ist. Dann dürfte es richtig teuer werden für die Stadt und den Kanton.
Vater und Arbeitgeber wollen klagen
Der Vater von Alain und sein Arbeitgeber, die über die Trägheit der Behörden nur den Kopf schütteln können, prüfen eine Klage gegen die Stadt Grenchen (als Schulträgerin) und den Kanton Solothurn, weil Alain seinem verfassungsmässigen Recht auf Schulunterricht während bald 2 Jahren beraubt wird.
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