Deutsche Einzelhändler in Sorge: Gegenmassnahmen gegen Schweiz gefordert
Die Schweiz halbiert ab 1. Januar 2025 die Grenze für die steuerfreie Einfuhr von Waren von 300 auf nur noch 150 Franken pro Person und Tag. Übersteigt der Gesamtwert pro Person diese neue Grenze, muss auf die eingeführten Waren die Schweizer Mehrwertsteuer entrichtet werden. Auf deutscher Seite ist man entsprechend betrübt über die Ankündigung aus Bern.
Wenn die deutschen Händler richtig reagieren, dürfte der Einkaufstourismus ab 2025 sogar noch zunehmen. Das Rhein-Center in Weil am Rhein. Links hinten sieht man die Autoschlange zurück zum Schweizer Zoll. Bild: soaktuell.ch
"Wir sehen das mit Sorge", sagte Katrin Klodt-Bußmann, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee in Konstanz, der Schwäbischen Zeitung. "Wir erwarten, dass das den Handel beeinträchtigen wird, die Freigrenze wird von vielen Schweizer Kunden ausgereizt." Deutsche Händler im Bekleidungssegment würden die Schweizer Neuregelung wohl zuerst zu spüren bekommen - aber auch Supermärkte. Für Schweizer Kunden, die nicht direkt von der Grenze kommen, würden sich die weiten Wege womöglich nicht mehr lohnen, so Schmidt-Klodtmann. "Der Einzelhandel ist ohnehin unter Druck, er profitiert bislang davon, dass er von den Schweizer Kunden belebt wird."
soaktuell.ch weiss, hinter vorgehaltener Hand werden bereits Vergeltungsmassnahmen gegen die Schweiz gefordert, so etwa beim Luftverkehr (Stichwort: Fluglärm Flughafen Zürich, Überflüge über deutsches Gebiet) oder bei der Akzeptanz von Schweizer Kernanlagen und Chemiefirmen entlang der Grenze zu Deutschland. Wie gross der Boomerang sein wird, den Bundesrätin Karin Keller-Sutter für ihre Kriegserklärung gegen die Einkaufstouristen und Grenzregionen kassiert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Auf jeden Fall war diese einseitige Schweizer Entscheidung ein unfreundlicher Akt gegenüber den Nachbarn.
Derweil versuchen Spezialisten für Einkaufstourismus aus der Schweiz die deutschen Händler und Gewerbeverbände zu beruhigen.
Senkung der Wertfreigrenze wird nur kurzfristig negative Effekte auf den Einkaufstourismus haben.
Es gilt cool und locker zu bleiben, heisst es von Seiten unabhängiger Detailhandels-Experten. Der Einkaufstourismus wird, wenn überhaupt, nur kurzfristig eine Delle erleiden. Im Gegenteil. Wenn Deutschland das richtige tut, könnte es sogar in die andere Richtung gehen. Die Gründe:
Schweizerinnen und Schweizer führten die Einsparung der Mehrwertsteuer bisher immer als letzten Grund an, wenn sie gefragt wurden, warum sie nach Deutschland einkaufen gehen. Sie kommen vielmehr wegen den Preisunterschieden der Produkte von bis zu 50 Prozent nach Deutschland oder weil es hier Produkte gibt, die man in der Schweiz nicht erhält. Da kommt es auf die 8.1 Prozent Mehrwertsteuer nicht an. Ob ein Produkt nun 48 Prozent günstiger ist oder halt nur noch 40% ist alleweil attraktiv. Eine Delle wird der Einkaufstourismus in der Anfangsphase wahrscheinlich schon hinnehmen müssen, weil die Bezahlung der Mehrwertsteuer mit der dafür vorgesehenen App bürokratischen Mehraufwand für die Schweizerinnen und Schweizer bedeutet und diesbezüglich Unsicherheiten bestehen. Viele Einkaufstouristen mit tiefen Einkommen werden diesen Aufwand scheuen oder müssen sich erst damit vertraut machen. Das wird einen Moment dauern. Eine einfache Lösung wurde durch eine Lösung mit administrativem Mehraufwand und Bürokratie ersetzt. Und dies ausgerechnet von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die FDP, die sonst überall von weniger Bürokratie spricht. Aber dieses Thema müssen die Konsumentinnen und Konsumenten nachtrüglich an den Wahlurnen klären.
Entscheidend wird sein, dass die Produktepreise in Deutschland günstig bleiben. Würden diese beispielsweise ab 1. Januar 2025 um 8.1 Prozent gesenkt (entspricht der Höhe der Schweizer Mehrwertsteuer), weil die Inflation rückläufig ist, wäre die Wirkung einer Senkung der Wertfreigrenze schon verpufft und der Einkaufstourismus würde mit Sicherheit noch stärker boomen als je zuvor.
Migros und Coop versuchen, ihre Produkte immer noch mit hohen Preisen zu verkaufen. Sie haben zu hohe Kostenstrukturen und zu hohe Margen und bringen diese kaum runter. Das wird auch 2025 so bleiben. Nur Aldi und Lidl haben in der Schweiz ihre Preise massiv gesenkt. Es ist also auch von daher nichts in Sicht, was Schweizerinnen und Schweizer im grossen Umfang vom Gang über die Grenze abhalten könnte.
Was Schweizerinnen und Schweizer besonders schätzen, sind genügend kostenlose Parkplätze auf der deutschen Seite. Solange das so bleibt, blüht der Einkaufstourismus. Und die Benzin- sowie Dieselpreise sind in der Schweiz ebenfalls markant gesunken, was Autofahrten nach Deutschland attraktiver macht.
Den Rest erledigt der Franken-Euro-Wechselkurs. Alleine der starke Schweizer Franken macht mit der Kursdifferenz allfällige Mehrkosten für die Mehrwertsteuer schon fast wett. Und auch das wird bis auf weiteres so bleiben.
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